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Cristina Ohlmer
Cristina Ohlmer "Seltene Nacht" Zeichnung, Film, Installation 20.03.-19.04.2011
Die Poesie des Ephemeren
Neue Arbeiten von Cristina Ohlmer in der Galerie G

Die Farbe fließt in den Himmel der Maler. Sie fließt und fließt. Man könnte sich darin versenken, denn in Christina Ohlmers „Malerhimmel“ schaut man wie in eine Brunnenschale.Vom Rand her rinnen die Schlieren, verdichten, durchmischen sich zu einem Bild nie endender Bewegung – von einem Deckenprojektor auf die Emailwand geworfen. Dem statisch Festen  war die Künstlerin schon immer abhold, was zur Folge hat, dass  ihr quecksilbriges Werk als Ganzes schwer zu fassen ist. Bedient sie doch sämtliche Medien, um jenes spontane Erleben, dass sie selbst auf ihre Bildideen brachte, dem Betrachter zugänglich zu machen. Es ist eine Methode poetischen Verfremdung, ja der Weltverzauberung im Kleinen, die auch in ihrer neuen Ausstellung in der „galerie g“ aufscheint – etwa am  Filmstill eines Wunschbaums in den „Duftbergen“ – ja, so heißen sie wirklich. Von Mai bis Juni vergangenen Jahres lebte die Freiburger Künstlerin im Rahmen eines Stipendiums der Basler Merian-Stiftung in Peking. Mit Körben voller Fotos und den Kopf voller Ideen ist sie heimgekehrt. Betont unspektakuläre Motive, das Glück einer Augenblicksentdeckung festhaltend, etwa den Moment, als ein Lichtfleck hinter einem Schrubber, ihr vorgekommen war, als habe hier jemand Licht in die Ecke gewischt. Im Mosaik einer zersprungenen Windschutzscheibe an einer Kanalböschung sah sie den Himmel wunderbar gespiegelt, im Zufallsarrangement von Pappeltrieb und Akaziensamen einen vollkommenen Zen-Garten, und ihre Kontaktlinsen kleben wie zwei neugierige Augen an der Scheibe. Der romantische Fensterblick Richtung Fernost. Nicht das offizielle China samt Sehenswürdigkeiten, sondern das Ephemere bündelt dieser Blick; die halbstündige Filmansicht des  mit windbewegten Zetteln behängten „Wunschbaums“ gibt solcher Kunst das Tempo vor.  Nur wer sich Zeit nimmt, wird verzaubert. Etwa von den „Wortfächern“, unwillentlich verballhornte europäische Markenlabel und Sprüchen die chinesische T-Shirts veredeln sollen: „Bee mei honey“ oder „unit coller“. Ohlmer hat diese Unsinns-Sprüche auf traditionelle chinesische Fächer appliziert, um das Kuriosum dieses „Kulturtransfers“ noch zu verstärken. Einen der Fächer schenkte sie dem inzwischen verschwundenen Künstler Ai Weiwei. Wie gut sich das von ihr entwickelte Verfahren der „Tuscheregenzeichnung“ – Gegenstände und Menschen als Verdichtung oder Leerstelle im regelmäßigen Vertikalmuster-   sich auch zur Vermittlung von Reise-Eindrücken eignet, zeigt sie im Nebenraum. Auch hier die Freude am Ephemeren: Ein Mondaufgang über Peking – ein fast schon sensationeller Augenblick im Dunst der Millionenmetropole, ein Flugdrache auf einem Flohmarkt unter einer Hochstraße – als erhebe sich ein leibhaftiger Adler aus der Alltagsbanalität wie der Phönix aus der Asche. Farbflecken setzen rhythmische Kontrapunkte ins Schwarzweiß-Bild. Verlebendigende Farbe, Licht und Transparenz sind von jeher Ohlmers Themen. In der „Galerie G“ bildete sie einst das „Lichtmaß“, das heißt, den Lichtschatten der gegenüberliegenden Fenster auf einer Wand mit Silberpapier ab. Oft reichen ja solch kleine Eingriffe für einen Maximaleffekt. Für die sensitive Cristina Ohlmer ist auch weniger vollauf genug. 

Stefan Tolksdorf

 

Aus der Ausstellung
Vom Malerhimmel zum Zeichenraum Foto: Stefan Reisinger
Vom Malerhimmel zum Zeichenraum Foto: Stefan Reisinger

Tuschemund und Flugdrache
Tuschemund und Flugdrache

Seltene Nacht
Seltene Nacht

Wortfächer
Wortfächer




Flugdrache 100 x 120 cm Tempera/Chinatusche auf Papier 2010
Flugdrache 100 x 120 cm Tempera/Chinatusche auf Papier 2010

Blick in die Ausstellung Fotos: Cristina Ohlmer
Blick in die Ausstellung Fotos: Cristina Ohlmer